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Felix, Maximilia & Emil (Anti - D)

Die Schwangerschaft mit meinem ersten Kind war ein Traum...

Bis auf ein paar kleine Schwangerschafts-Wehwehchen fühlte ich mich pudelwohl und freute mich auf die Geburt meines Sohnes. Meine Antikörpersuchtests in der 9. Und 24. Schwangerschaftswoche waren negativ und ich erhielt in der 28. Schwangerschaftswoche standardmäßig die Rhesusprophylaxe. So weit, so unauffällig. Die Geburt war nicht einfach und endete schließlich in einer Sectio, doch der richtige Hammer folgte im Aufwachraum:

"Die kriegt keine Rhesusprophylaxe mehr, die hat schon Antikörper!"

hörte ich die Schwester zum Kollegen sagen. Ich solle auf Station auch noch mal Bescheid geben, damit ich keine Anti - D Spritze mehr bekomme. Ich nickte brav, denn in dem Moment war mir überhaupt nicht klar, was das in der Zukunft noch bedeuten würde. Nach 17 Stunden Wehen und einer großen Operation sehnte ich mich einfach nur noch nach Schlaf...

Die Visite am nächsten Tag fiel ebenso nüchtern aus. Die Rhesusprophylaxe habe versagt, warum konnte man nicht erklären. Ich müsse das wissen, denn in weiteren Schwangerschaften müsse ich eng überwacht werden. Die Antikörper könnten zum Tod des Kindes noch im Bauch oder kurz nach der Geburt führen. Alles Gute, einen schönen Tag noch.

Wie lange ich in dieser Schwangerschaft unentdeckt mit Antikörpern herumgelaufen bin, weiß ich nicht. Mehrere Wochen waren es wohl in jedem Fall, mein Titer lag wenige Stunden vor der Geburt bei 1:1024. Meinem Sohn Felix ging es zum Glück trotzdem recht gut, er hatte nur eine ausgeprägte Gelbsucht, die drei Tage lang mit Phototherapie behandelt wurde. Am fünften Tag wurden wir nach Hause entlassen.

 

Daheim angekommen tat ich, was man nach einer Diagnose, die einem niemand so recht erklären kann tut - ich googelte. Ich las beunruhigende Dinge von “Geisterbabys”, die blutleer zur Welt kommen, sah Bilder von Kindern, die an einem Hydrops gestorben waren und las etwas von Transfusionen durch die Bauchdecke; ein Eingriff, der mir unglaublich beängstigend schien. Ich quälte mich als medizinischer Laie durch etliche Fachartikel, doch nirgends fand ich eine Antwort auf meine Frage, wie ich mich trotz Rhesusprophylaxe sensibilisiert haben könnte. Meine Hebamme glaubte an einen Laborfehler oder vertauschte Blutproben, mein Frauenarzt war sich ganz sicher, dass bloß ein Spritzenrest nachgewiesen worden sei. Heute weiß ich, dass beide Vermutungen haltlos waren; denn eine vertauschte Blutprobe hätte weder den positiven Coombs - Test noch die starke Gelbsucht meines Sohnes erklärt und für einen Spritzenrest war mein Titer viel zu hoch.

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Als sich die Diagnose einige Monate später bestätigte, fiel ich in ein tiefes Loch. Ich quälte mich mit Fragen wie “Kann ich nun nie wieder gesunde, lebende Kinder bekommen?” und fing an, die Schuld für die Sensibilisierung bei mir zu suchen. War ich zu sorglos gewesen und hätte mich mehr schonen müssen? Hatte ich die Spritze auf dem Weg von der Apotheke nach Hause nicht ausreichend gekühlt oder falsch gelagert? Ich fühlte mich unglaublich allein gelassen, hilflos und war wütend auf mich selbst, meinen Frauenarzt, auf das Krankenhaus, auf meinen Mann mit seiner blöden, positiven Blutgruppe und manchmal sogar auf mein über alles geliebtes Baby.

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Irgendwann ging es mir so schlecht, dass ich psychologische Hilfe in Anspruch nahm. Ermutigt durch die Therapeutin fasste ich mir ein Herz und schrieb dem Chefarzt an der Uniklinik Salzburg eine Mail. Prompt wurde ich wenige Tage später zu einem Gespräch eingeladen. Es war mit das Beste, was mir passieren konnte. Der leitende Oberarzt der Pränatalambulanz war mir mit seiner empathischen und Ruhe ausstrahlenden Art sofort sympathisch und ich fühlte mich direkt gut aufgehoben. Endlich nahm sich jemand Zeit, mir genau zu erklären, was es mit den Antikörpern auf sich hatte, welche Behandlungsmöglichkeiten es in weiteren Schwangerschaften gäbe und konnte mir auch erklären, wie es zum Prophylaxeversagen gekommen sein könnte. Am ehesten hatte ich wohl eine unbemerkte feto - maternale Makrotransfusion, bei der mehr kindliches Blut in meinen Kreislauf gelangte, als die Anti - D Spritze neutralisieren konnte. Dies geschieht völlig unbemerkt und vor allem unverschuldet. Ich wurde ermutigt, dass eine weitere Schwangerschaft (sollte das Kind wieder Rhesus- positiv sein) zwar eine Hochrisikoschwangerschaft sei und ich mich auf viele Kontrollen einstellen müsse; ich jedoch in der ersten Schwangerschaft nach Sensibilisierung gute Chancen auf einen milden Verlauf ohne invasive Maßnahmen hätte und meinen Kinderwunsch keineswegs begraben müsse. Wir ließen den Zygotie - Status meines Mannes bestimmen und erfuhren, dass wir eine 50:50 Chance auf ein Rhesus - negatives Kind hätten. Dies hat uns in unserer Entscheidung weiter bestärkt.

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Wenige Monate später konnte ich meinem Mann am Nikolausabend einen positiven Schwangerschaftstest in den Stiefel stecken. Unsere Tochter war unterwegs.

In den ersten 12 Wochen hatte ich sehr viel Angst. Nicht nur vor einer frühen Fehlgeburt, sondern vor allem, dass das Kind wieder rhesus - positiv sein könnte. Diese Befürchtung bewahrheitete sich leider, als in der 13. Schwangerschaftswoche das Ergebnis der fetalen Blutgruppenbestimmung vorlag: Rhesus positiv.
 

Ab da war ich zu 14-tägigen Ultraschallkontrollen und 4 - wöchigen Titerkontrollen an der Uniklinik. Mein Titer lag recht konstant zwischen 128 und 256. Trotzdem hatte ich natürlich immer Angst vor einem möglichen Anstieg und die Aussicht auf eine intrauterine Transfusion jagte mir eine Heidenangst ein. Erst in der 33. Schwangerschaftswoche kam es zum gefürchteten Anstieg (auf zuletzt 1:8000) und ab da wurde ich zweimal pro Woche kontrolliert. Trotzdem ging es meiner Tochter immer gut und sie zeigte keine Anzeichen einer Anämie. Erst bei der Kontrolle an 37+0 lag der Blutfluss über der kritischen Grenze, zudem spürte ich deutlich weniger Kindsbewegungen und hatte ein leicht eingeengtes CTG. Der Kaiserschnitt wurde noch für den nächsten Tag angesetzt. Meine Tochter Maximilia hatte nach der Geburt keinerlei Anpassungsprobleme, musste jedoch sofort unter Blaulicht da ihr Bilirubinwert rasant anstieg. Es fiel mir schwer, meine Tochter während ihres ersten Lebenstages nicht im Arm halten, mit ihr kuscheln oder sie stillen zu können, aber an einer Austauschtransfusion schrammten wir so knapp vorbei. Nach 5 Tagen Phototherapie und 5 weiteren Tagen stationärer Observanz in der Kinderklinik wurden wir gesund nach Hause entlassen. Stillen klappte inzwischen wunderbar und auch bei den ambulanten Blutbildkontrollen, die wir noch etwa 3 Monate nach der Geburt regelmäßig durchführten, war ihr Hb - Wert zwar immer etwas niedrig, aber nie transfusionspflichtig.

 

Die Vernunft hätte es wohl geboten, dass wir nach dieser, trotz Antikörpern weitgehend komplikationslosen Schwangerschaft unser Glück nicht noch einmal auf die Probe stellen. Ich versuchte, mich damit abzufinden, dass unsere Kinderplanung abgeschlossen sei, verkaufte meine Umstandskleidung und einen Teil der Babyausstattung. Trotzdem nagte der Kinderwunsch weiter an mir. Jeder Strampler und jede Rassel, die unseren Keller verließen, gab mir einen Stich ins Herz. Wochenlang rangen wir mit uns. In dem Wissen, dass wir im Fall der Fälle ein gutes Ärzteteam hinter uns hätten und wir noch längst nicht alle medizinischen Möglichkeiten ausgeschöpft hatten, beschlossen wir (auch wieder mit der Hoffnung auf ein rhesus - negatives Kind im Hinterkopf) es noch einmal drauf ankommen zu lassen. Überraschend schnell wurde ich wieder schwanger mit unserem dritten Kind.

 

Bei meinem ersten Arzttermin in der 9. Schwangerschaftswoche ließ ich den Titer mitbestimmen, dieser lag bei 1:1024. In der 11. Schwangerschaftswoche ließ ich diesen auf eigenen Wunsch und aufgrund eines schlechten Bauchgefühls, welches ich selbst nicht genau erklären kann,  erneut an der Uniklinik kontrollieren.

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Als am nächsten Tag das Telefon klingelte, schwante mir nichts Gutes...

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Tatsächlich war es in den zwei Wochen bereits zu einer Boosterung gekommen, womit auch die Blutgruppe des Kindes feststand. Zu diesem Zeitpunkt war ich wirklich verzweifelt. Mir war klar, dass unserem Kind niemand würde helfen können, sollte es jetzt zu einer Anämie kommen. Das Wissen, dass mein eigener Körper gerade mein ungeborenes Kind bekämpfte, ich jedoch nichts dagegen tun konnte, war nur schwer auszuhalten. Ich fühlte mich wie eine tickende Zeitbombe. Unser Arzt an der Uniklinik schlug eine Therapie mit Immunglobulinen als Überbrückungsmaßnahme vor, um Zeit bis zur ersten Transfusion zu gewinnen. Diese Möglichkeit nahm ich mehr als dankbar an.

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Die nächsten 8 Wochen hing ich jede Woche einen kompletten Tag am Tropf. Ich reagierte mit grippeähnlichen Symptomen und fiesen Migräneattacken auf die Behandlung, doch das nahm ich gern in Kauf. Endlich konnte ich aktiv etwas tun, um meinem Baby zu helfen und musste nicht hilflos die Hände in den Schoß legen und abwarten, was passieren würde. Die Immunglobuline zeigten offensichtlich Wirkung, es kam zu keinem weiteren Titeranstieg und bei den wöchentlichen Kontrollen ging es unserem Baby - einem kleinen Jungen - immer gut. Ab der 20. Schwangerschaftswoche atmete ich etwas auf und die Immunglobulin - Therapie wurde beendet.

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Erst in der 28. Schwangerschaftswoche stiegen die Titer erneut stark an und ab da stellte sich nicht mehr die Frage ob, sondern wann ich transfundiert werden würde. Rückblickend betrachtet weiß ich nicht mehr, wie wir durch diese Zeit gekommen sind. Alle 2 Tage stand ich mit gepackten Koffern im Krankenhaus und immer hieß es : Die Werte sind grenzwertig, aber noch im Rahmen, wir schauen übermorgen wieder. Daheim musste der Alltag weiter laufen und meine Kinder, zu dem Zeitpunkt 3 und 1,5 Jahre alt, verstanden natürlich nicht, warum ich so oft im Krankenhaus war und so oft weinte. Trotz aller Versicherungen der Ärzte, es wäre noch alles in Ordnung und meinem Kind könne es nicht plötzlich über Nacht schlecht gehen, hatte ich furchtbare Angst. Ich spürte ja, dass unser Sohn immer schwächer wurde und sich in meinem Bauch immer weniger bewegte. An 31+3 war es schließlich so weit: die Blutflussgeschwindigkeit lag endgültig oberhalb der Norm, weitere Hinweise für eine behandlungsbedürftige Anämie kamen dazu: Zu viel Fruchtwasser und eine ganz leichte Herzinsuffizienz beim Baby. Noch am selben Tag wurde die Transfusion durchgeführt und obwohl ich im Vorfeld solche Angst davor gehabt und beim Gedanken daran oft die halbe Nacht wach gelegen hatte, war ich vor allem erleichtert, dass es nun endlich so weit war. Während des Eingriffs war ich erstaunlich gelassen, aber ich glaube, ich war auch nur noch körperlich anwesend. Ich empfand die ganze Prozedur als überaus unangenehm aber aushaltbar.

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Die Transfusion war eine Punktlandung, der Hb meines Kindes lag bei 7,2 an der Grenze von der mittelschweren zur schweren Anämie und konnte auf über 14 angehoben werden, was dem Normwert entspricht. Das Gefühl, dass mein Kind nach dem Eingriff wieder fröhlich strampelte und voller Energie zu sein schien, war unbeschreiblich schön. Komplikationen gab es keine außer einigen Kontraktionen im Nachgang. Ich wurde nach der Transfusion eine Nacht zur stationären Beobachtung aufgenommen und erhielt vorsorglich die Lungenreife. Gut 2 Wochen später, an 33+6 erhielten wir eine weitere intrauterine Transfusion. Auf eigenen Wunsch wurde ich 3 Tage im Vorfeld stationär aufgenommen, nervlich war ich zu diesem Zeitpunkt am Ende und froh, dass drei mal täglich CTG geschrieben wurde. Dieses Mal musste aufgrund der Größe des Kindes mehr Blut transfundiert werden und unser Kind reagierte darauf mit Bradykardien. Die Situation beruhigte sich jedoch zum Glück schnell.

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2 Wochen später, an 36 + 0 wurde unser kleiner Kämpfer Emil per Kaiserschnitt entbunden

 

Ich war überglücklich, dass es ihm soweit gut ging und direkt im OP ein kurzes Bonding möglich war. Danach wurde er auf die Neo verlegt, er bekam noch eine Bluttransfusion, Immunglobuline, Phototherapie und den ersten Tag noch etwas Sauerstoffunterstützung mit der Brille. Als spätes Frühchen entwickelte er ein Apnoe - Syndrom mit periodischer Atmung und Sättigungsabfällen. Dieses wurde mit Coffein behandelt und zur Sicherheit bekamen wir bei Entlassung für 8 Wochen einen Heimmonitor. Nach 5 Tagen auf der Intensivstation und 5 Tagen auf der Kinderstation wurden wir entlassen.

 

In der 5. Und 10. Lebenswoche mussten wir noch einmal für weitere Bluttransfusionen ins Krankenhaus, da es durch den hohen Titer (zuletzt 1:32.000) bei Geburt noch länger zur Hämolyse kam. Zudem dauerte es lange, bis die körpereigene Blutproduktion ansprang. Ein Medikationsversuch mit Erythropoetin zeigte nicht den gewünschten Erfolg und wurde eingestellt. Mit 12 Wochen stieg der Hb zum ersten Mal von selbst an und konnte danach stabil gehalten werden. Alle Nachsorgeuntersuchungen (z.B beim Kardiologen) waren komplett unauffällig. Seitdem ist unser Emil ein ganz normales, gesundes Baby, dass sich in seinem Tempo entwickelt.

Man merkt noch, dass er ein Frühchen war und aufgrund seines nicht ganz einfachen Starts für viele Entwicklungsschritte wie lächeln, krabbeln oder sitzen 1 - 2 Monate länger braucht als die Norm - aber wir hatten auch wahrlich keine normale Schwangerschaft.

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Wir sind unserem Ärzteteam an der Uniklinik Salzburg und den anonymen Blutspendern jeden Tag aufs Neue dankbar, denn ohne sie wäre unser Emil nicht hier.

 

Vor allem nach meiner ersten Geburt hätte ich Berichte wie diesen verzweifelt gesucht. Tatsächlich lernte ich erst in meiner dritten Schwangerschaft andere betroffene Frauen kennen. Der Austausch mit ihnen war in dieser Zeit unglaublich wertvoll und oft mein Rettungsanker. Dies ist der Grund, warum ich unsere Geschichte aufgeschrieben habe, in der Hoffnung, dass sie vielleicht von jemandem gelesen wird, der sich genau so ratlos, verzweifelt und allein gelassen fühlt wie ich damals.

In jedem Fall kann man auch mit Antikörpern völlig gesunde Kinder bekommen, obwohl ich natürlich jeder werdenden Mami einen weniger steinigen Weg wünsche.

Am Ende hat sich jede Blutabnahme, jeder Nadelstich, jede Träne und jede Minute Wartezeit vor dem Untersuchungszimmer gelohnt. Und tatsächlich war ich trotz allem immer gerne schwanger - es ist und bleibt ein großes Wunder.

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Baby schläft friedlich und ist nach sechs Bluttransfusionen endlich gesund
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